Eine Initiative der Oskar Killinger Stiftung

Medizinrecht: Sind Ärzte rechtlich verpflichtet, über SUDEP aufzuklären?

Die umfassende Aufklärung über SUDEP ist ein zentraler Bestandteil der ärztlichen Sorgfaltspflicht und trägt maßgeblich zur Sicherheit und Autonomie der Patienten bei.

Ärztinnen und Ärzte sind rechtlich dazu verpflichtet, ihre Patienten über SUDEP (Sudden Death in Epilepsy, Plötzlicher Tod bei Epilepsie) aufzuklären. Diese Aufklärungspflicht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert und wird durch die Rechtsprechung der obersten deutschen Gerichte gestützt. Sie dient dem Schutz der Patienten vor unbekannten Risiken und ermöglicht es ihnen, informierte Entscheidungen zu treffen und entsprechend vorzusorgen.

Kein therapeutischer Vorbehalt

Ärzte, die aus der Annahme heraus handeln, Patienten wollten über bestimmte Risiken nicht informiert werden, verstoßen gegen diese Pflicht und machen sich potenziell strafbar. Einen therapeutischen Vorbehalt gibt es bei der Pflicht zur SUDEP Aufklärung nicht. Das Verschweigen eines Todesrisikos wie SUDEP ist nicht nur ethisch bedenklich, sondern auch rechtlich nicht haltbar.

Berufspflichten ernst nehmen

Es ist daher im Interesse aller Ärzte, insbesondere der Neurologen und Epileptologen, ihre Berufspflichten ernst zu nehmen und Patienten vollständig aufzuklären. Dies schützt nicht nur die Patienten, sondern auch die Ärzte selbst vor möglichen rechtlichen Konsequenzen.

Patienten müssen alle Schlüsselaspekte von SUDEP kennen

Es ist essentiell, Patienten über Schlüsselaspekte von SUDEP aufzuklären: Zu den Risikofaktoren für SUDEP zählen bestimmte Bedingungen und Verhaltensweisen, die das Risiko signifikant erhöhen können. Patienten sollten über Präventionsmaßnahmen informiert werden, die aktiv zur Minimierung des SUDEP-Risikos beitragen können, einschließlich der Bedeutung dieser Informationen für ihre Gesundheit und Entscheidungsfindung.

Als Hauptfaktor für SUDEP gelten generalisierte tonisch-klonische Anfälle. Wichtig sind dabei Verhaltensanpassungen wie Co-Sleeping und die Nutzung moderner Technologien zur Anfallsüberwachung. Auch das Wissen über den typischen Ablauf eines SUDEP in der Nachphase eines Anfalls ist von großer Bedeutung.

Die ärztliche Aufklärungspflicht ergibt sich aus den allgemeinen gesetzlichen Regelungen zum Behandlungsvertrag (§§ 630a ff. BGB) sowie den Grundsätzen zur Patientenaufklärung und Patientensicherheit, die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geformt wurden.

Informationsverhältnis erfordert Aufklärung

Der Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient basiert auf Vertrauen und einer effektiven Kommunikation. Das Recht schreibt vor, dass Ärzte bestimmte Aufklärungspflichten erfüllen müssen, um eine sichere Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient zu gewährleisten. Im Rahmen der therapeutischen Sicherungsaufklärung gemäß §630c Abs. 2 BGB sind Ärzte dazu verpflichtet, ihren Patienten ein klares Verständnis von seiner Erkrankung, der zu erwartenden gesundheitlichen Entwicklung sowie allen für die Behandlung wesentlichen Umständen und den sich daraus ergebenden Verhaltensanforderungen zu vermitteln.

Darüber hinaus ist es wichtig, den Patienten zu einer Lebensweise anzuregen, die seinem Gesundheitszustand angemessen ist. Die Dringlichkeit einer notwendigen Behandlung, wie beispielsweise die regelmäßige Einnahme von Medikamenten, sollte dem Patienten ebenfalls verständlich gemacht werden.

Des Weiteren sind Ärzte dazu verpflichtet, Patienten oder deren Angehörige über sämtliche relevanten Aspekte der Erkrankung zu informieren, was rechtlich als „Selbstbestimmungsaufklärung“ bezeichnet wird. Dies schließt Informationen über die Art und Wahrscheinlichkeit der mit der Behandlung verbundenen Risiken sowie die Risiken einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes ohne Eingriff mit ein.

Die Selbstbestimmungsaufklärung verlangt, dass der Arzt vor der Durchführung von medizinischen Maßnahmen, die in den Körper oder die Gesundheit des Patienten eingreifen (zum Beispiel Medikation, Operation, Injektion, etc.), die Einwilligung des Patienten einholt, wie es im § 630d BGB vorgeschrieben ist. Um dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten gerecht zu werden, muss der Arzt ihn beispielsweise darüber aufklären, wie das Absetzen einer empfohlenen Arzneimitteltherapie sich auswirken kann. Generell sollte der Patient durch umfassende Information in die Lage versetzt werden, eine selbstverantwortliche und informierte Risikoabwägung vorzunehmen.

Eigenverantwortliche Risikoeinschätzung

Nur der aufgeklärte Patient kann eine eigenverantwortliche Risikoeinschätzung vornehmen und sein Verhalten an die Krankheit anpassen.

Im Kontext der Aufklärung über Epilepsie- und SUDEP-Risiken bedeuten die gesetzlichen Aufklärungspflichten, dass der Arzt zu Beginn der Behandlung dem Patienten zunächst allgemeine Informationen über das SUDEP-Risiko mitteilen muss.

Konkret sollte der Arzt den Patienten darüber aufklären, dass Menschen mit Epilepsie einem möglichen plötzlichen Epilepsietod (SUDEP) ausgesetzt sind und dass dieses Risiko durch angemessene präventive Maßnahmen erheblich reduziert werden kann. Der Patient sollte darüber informiert werden, dass SUDEP die häufigste Todesursache im Zusammenhang mit Epilepsie ist. Des Weiteren sollten die Hauptfaktoren, die das Risiko eines SUDEP erhöhen können, allgemein erläutert werden, darunter generalisierte tonisch-klonische Anfälle (insbesondere nachts), eine Epilepsiediagnose vor dem 14. Lebensjahr und die Einhaltung der Medikation.

Zudem sollte der Patient darüber informiert werden, dass sich im Verlauf der Behandlung individuelle Risikofaktoren zeigen können. Abhängig von der spezifischen Ausprägung der Epilepsie können sich im Laufe der Behandlung weitere Anknüpfungspunkte für eine detaillierte Beratung über mögliche und empfehlenswerte Maßnahmen zur Risikominimierung ergeben.

Die Aufklärung über SUDEP kann besonders die Medikamentencompliance positiv beeinflussen. Eine eigenverantwortliche Entscheidung des Patienten über die Einnahme der Medikamente ist nur dann möglich, wenn der Patient und seine Angehörigen verstehen, dass das Nicht-Einhalten der Medikation zu vermehrten Anfällen führen und das SUDEP-Risiko erhöhen kann. Der Patient sollte klar darüber informiert werden, dass vor dem Hintergrund des SUDEP-Risikos ein verantwortungsbewusstes Verhalten, einschließlich der regelmäßigen Medikamenteneinnahme, von großer Bedeutung ist. Die Patienten und ihre Angehörigen sollten umfassend über präventive Maßnahmen informiert werden, wie nächtliche Überwachung und Erste-Hilfe-Maßnahmen, und auf Schulungsprogramme hingewiesen werden.

Zur eigenen Absicherung sollte der Arzt dokumentieren, dass er den Patienten über SUDEP und die damit verbundene Risikovorsorge aufgeklärt hat. Zudem sollte er dem Patienten Informationsmaterial über SUDEP und Erste-Hilfe-Maßnahmen aushändigen und auf verfügbare Aufklärungsmaterialien und Online-Ratgeber hinweisen.

Der Arzt sollte sich schriftlich vom Patienten bestätigen lassen, dass er über SUDEP informiert wurde.

Die aktuellen ärztlichen „Leitlinien für die Behandlung von Epilepsie“ aus dem Jahr 2023 empfehlen eine frühzeitige Aufklärung über SUDEP, auch zur Verbesserung der Therapieadhärenz.

Es ist wichtig zu betonen, dass das SUDEP-Risiko seitens der Ärztinnen und Ärzte oft unterschätzt und verharmlost wird.

Nichtaufklärung über SUDEP ist rechtlich nicht zu rechtfertigen

Ärzte argumentieren häufig, dass eine Aufklärung über das SUDEP-Risiko bei Patienten Panik auslösen könnte und die dadurch entstehenden Ängste sowie die daraus resultierenden Fragen die Lebensqualität und Entwicklung der Patienten beeinträchtigen würden. Insbesondere nächtliche Überwachungsmaßnahmen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen würden zu stark in deren Lebensführung eingreifen.

Aus rechtlicher Sicht ist hierzu zu sagen: Es gibt Kontext der SUDEP-Aufklärung keinen therapeutischen Vorbehalt, der es den Ärzten erlauben würde, von Aufklärung abzusehen. Die Gerichte erkennen einen solchen Vorbehalt nicht an. Panik oder Ängste bei Patienten und Angehörigen zu vermeiden, hat keinerlei rechtliche Relevanz und erlauben es einem Arzt nicht, von der Aufklärung über das SUDEP Todesrisiko und die Möglichkeiten zur Risikominderung und Ersten Hilfe abzusehen.

Das Selbstbestimmungsrecht eines Patienten hat rechtlich einen sehr hohen Stellenwert. Ärzte dürfen nur dann von einer eigentlich erforderlichen medizinischen Aufklärung absehen, wenn die Unterlassung der Aufklärung ernsthaft zu einer unmittelbaren Lebensgefahr oder nicht behebbaren Gesundheitsschädigung für den Patienten führen würde. Ganz wichtig: einfache Beeinträchtigungen der psychischen Verfassung des Patienten müssen hingenommen werden. Die Grenze wird dort gezogen, wo die Nicht-Aufklärung für den Patienten gefährlicher sein könnte als der Eingriff selbst. Im Falle der Aufklärung über SUDEP ist jedoch festzustellen, dass dies nicht zutrifft und der therapeutische Vorbehalt in diesem Zusammenhang keine Anwendung findet.

Welche Risiken geht ein Arzt ein, der nicht aufklärt?

Die Nicht-Aufklärung über SUDEP (Sudden Death in Epilepsy, Plötzlicher Tod bei Epilepsie) und die damit verbundenen Risiken birgt für den Arzt erhebliche rechtliche Konsequenzen. Sollte es zu einem SUDEP-Todesfall kommen, setzt sich der Arzt dem Risiko eines Arzthaftungsprozesses wegen mangelnder Aufklärung oder Behandlungsfehler aus. Darüber hinaus kann es im Falle eines SUDEP-Todes von Amts wegen auch zu strafrechtlichen Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung kommen. Zudem könnte berufsrechtlich der Widerruf der ärztlichen Approbation drohen. Es liegt daher im eigenen Interesse des Arztes, umfassend über SUDEP und die entsprechenden Maßnahmen zur Risikominderung aufzuklären und diese Aufklärung sorgfältig zu dokumentieren.

Als Behandler sollten Sie sich daher – auch zur Vermeidung dieser rechtlichen Risiken – rechtstreu verhalten und alle Ihre Patienten, die an Epilepsie leiden, und gegebenenfalls deren Eltern über das SUDEP-Risiko und die Möglichkeit zur Vermeidung eines plötzlichen Epilepsietodes (durch Risikovorsorge und nächtliche Überwachung) informieren. Diese Verpflichtung ergibt sich aus den allgemeinen gesetzlichen Regelungen zum Behandlungsvertrag (§§ 630a ff. BGB) und den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geprägten Grundsätzen zur Patientenaufklärung und Patientensicherheit

Welche Bedeutung haben ärztliche Leitlinien?

Ärztliche Leitlinien bieten klare Empfehlungen zur Diagnosestellung und Behandlung von Krankheiten. Diese Richtlinien sind in erster Linie für Ärztinnen und Ärzte konzipiert, können jedoch auch für Patienten und deren Angehörige wertvolle Orientierungshilfen darstellen.

Das Hauptziel von Leitlinien besteht darin, die angemessene und sichere Versorgung von Patienten zu gewährleisten. Sie basieren auf aktuellem medizinischem Wissen, berücksichtigen Nutzen und Risiken von Untersuchungen und Therapien und bieten konkrete Handlungsempfehlungen.

Leitlinien werden von Experten formuliert und von Facharztverbänden veröffentlicht. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Sicherung der Qualität der medizinischen Versorgung und dienen der Vermeidung von Fehlern. Die Einhaltung ärztlicher Leitlinien ist ein Indikator für eine standardisierte ärztliche Praxis. Wenn ein Arzt ohne angemessene Begründung von den Empfehlungen in den Leitlinien abweicht, wird dies in der Regel als Behandlungsfehler betrachtet.

Für die Behandlung von Epilepsien wurden die medizinischen Leitlinien im Jahr 2023 aktualisiert. Sie sehen eine umfassende Aufklärung der Patienten über SUDEP vor.

Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN):

Der SUDEP (engl. für sudden unexpected death in epilepsy) ist eine der häufigsten epilepsie- bzw. anfallsbedingten Todesursachen (Thurman et al. 2017) und definiert als der plötzlich und unerwartet auftretende Tod eines Menschen mit Epilepsie ohne Hinweise auf andere Todesursachen wie beispielsweise Ertrinken, Intoxikation, Status epilepticus oder Unfall. Die Inzidenz des SUDEP bei Erwachsenen wird in industrialisierten Ländern auf etwa 1,2 pro 1.000 Patient:innenjahre geschätzt, d.h. ca. 1 von 1.000 Epilepsie-Patient:innen stirbt jährlich an einem SUDEP (Harden et al. 2017). Bei schwer behandelbaren Epilepsien kann das Risiko relevant höher sein. AWMF/DGN-Leitlinie

„Erster epileptischer Anfall“, Stand 01.09.2023

Facharztstandard und Leitlinien

Ein Arzt ist verpflichtet, seine Patienten gemäß dem zum Zeitpunkt der Behandlung gültigen fachlichen Standard (Facharztstandard) zu behandeln.

Der Facharztstandard leitet sich aus medizinischen Leitlinien und den aktuellen Entwicklungen in der Medizin ab, einschließlich neuer Forschungsergebnisse, Lehrmeinungen und den Ansichten etablierter Expertenkommissionen. Der fachliche Standard unterliegt einem ständigen Wandel und passt sich dynamisch dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Wissensstand an. Er entspricht dem, was von einem vernünftigen, gewissenhaften und bedachten Durchschnittsarzt an Wissen, Können und Aufmerksamkeit erwartet wird.

Die ärztliche Behandlung muss dem fachlichen Standard entsprechen und gleichzeitig das Selbstbestimmungsrecht des Patienten respektieren. Dies ist insbesondere im Rahmen der SUDEP-Aufklärung von großer Bedeutung. Dabei sind individuelle Defizite des Behandlers, wie Überforderung, mangelnde Erfahrung, unzureichende Aus- und Weiterbildung und Fahrlässigkeit, für die Bestimmung des fachlichen Standards nicht relevant, sondern haben eher haftungsrechtliche Konsequenzen.