Eine Initiative der Oskar Killinger Stiftung

Juni 2022

„Dup15q – Wir sprechen mit allen unseren Familien über SUDEP“

Ein Gespräch mit Verena Romero

Liebe Frau Romero, Sie sind im Vorstand von Dup15q e.V., einem neuen Verein, der die Familien von Menschen mit Dup15q-Syndrom stärken will, indem er über das Syndrom informiert und Aufmerksamkeit schafft. Dup15q ist noch so gut wie unbekannt.

Das Dup15q-Syndrom ist eine seltene genetisch bedingte Erkrankung, die schätzungsweise bei einem von 15.000 Neugeborenen auftritt. Ein instabiler Bereich des maternalen q-Arms von Chromosom 15, die „Prader-Willi-/ Angelman-Syndrom-kritische Region“ von 15q11.2-q13.1, wurde mindestens einmal zusätzlich kopiert. Die Symptome sind unspezifisch und durch die fehlende routinemäßige genetische Analyse dauert es auch oft lange, bis die Diagnose gestellt wird. Ebenso kursieren viele verschiedene Namen für den Gendefekt, die die Familien noch zusätzlich verwirren.

Zu den Symptomen des Dup15q- Syndroms gehören globale Entwicklungsverzögerungen, Muskelhypotonie, sensorische Verarbeitungsstörungen, Autismus- Spektrum-Störungen und eben auch Epilepsie.

Bei ca. 60 % der Betroffenen tritt im Laufe des Lebens eine Epilepsie auf. Die Anfälle beginnen am häufigsten im Alter zwischen 6 Monaten und 9 Jahren, können jedoch in jedem Alter anfangen. Beim Dup15q- Syndrom umfasst die Epilepsie oft mehrere Anfallsarten – BNS-Anfälle, myoklonische, tonisch-klonische, Absencen und/oder fokale Anfälle.

Teilweise treten die Anfälle nur bzw. vor allem nachts auf und es wird von einer abnormalen Schlafarchitektur und auftretenden ESES (Electrical Status Epilepticus in Sleep) berichtet.

Was sind die Ziele des Vereins? Woran arbeitet ihr gerade?

Wir sind ein Selbsthilfeverein von Eltern für Eltern, deren Kinder vom seltenen Gendefekt Dup15q betroffen sind. Wir sind in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz aktiv und helfen den Familien, die Diagnose „Kind mit Behinderung“ emotional anzunehmen, zu verstehen und mit unserer Aufklärung ihr Kind bestmöglich in seiner Entwicklung zu fördern. Wir bieten u.a. ein umfangreiches Willkommensbuch über das Syndrom, Newsletter, die jährlich erscheinende Mitgliederzeitschrift „quietschbunt“, Familientreffen und digitale Gesprächskreise und Seminare an.

Darüber hinaus bauen wir aktuell in Kooperation mit der Universitätsklinik Heidelberg eine interdisziplinäre Spezialsprechstunde für betroffene Familien auf. Durch die fehlenden Erfahrungswerte und Vergleiche, machen unsere Familien oftmals eine Ärzte- Odysee durch und werden von einem Fachgebiet ins Nächste geschickt. Es fehlt bisher teils an den richtigen Untersuchungen und Bewusstsein über die Zusammenhänge des Syndroms sowie Forschungsprojekten. Viele Betroffene erhalten trotz hoher Epilepsieprävalenz und häufig berichteter nächtlicher Anfälle nicht einmal ein kurzes Kontroll-EEG, geschweige denn ein >24h EEG. So steht für uns auch ein deutschsprachiges Patientenregister auf unserer Agenda und wir möchten die klinische Forschung rundum das Syndrom vorantreiben. Dazu stehen wir auch im engen Kontakt mit internationalen Dup15q-Organisationen.

Auch SUDEP wird bei Ihrem Verein regelmäßig thematisiert. Sie wollen, dass alle Mitglieder das Risiko kennen und auch wissen, was zu tun ist. Wir finden Ihren Umgang mit dem Thema ganz wunderbar, weil Sie ganz selbstverständlich und nebenbei das Schweigen brechen. Danke. Aber wie kommt es, dass das Thema so präsent ist?

Wir als Vorstand haben uns schon länger intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. SUDEP ist kein leichtes Thema. Es ist ein Thema, das Angst machen kann. Wir sind aber der Ansicht, dass man über SUDEP nicht schweigen darf. Da haben wir eine ganz klare Meinung.

Die Forschung hat gezeigt, dass SUDEP bei einer kleinen, aber signifikanten Minderheit von Personen mit Dup15q auftritt. Seit April 2006 gibt es laut der amerikanischen Dup15q Alliance mehrere Berichte plötzlicher, unerwarteter Todesfälle bei jungen Menschen. Diese Todesfälle ereignen sich fast immer im Schlaf und die meisten (wenn auch nicht alle) traten bei Teenagern und jungen Erwachsenen mit Epilepsie auf.

Es wird davon ausgegangen, dass Kinder und Erwachsene mit Dup15q ein erhöhtes Risiko für SUDEP ausweisen. Die Dup15q Alliance aus Amerika schätzt das Risiko auf 0,5-1% pro Person und Jahr. Es gibt aber Unterschiede bei den Varianten des Syndroms. Mit jeder zusätzlichen Kopie an UBE3A scheint das SUDEP-Risiko signifikant zu steigen. Darauf weisen Studien von Dr. Philpot von der University of North Carolina hin.

Die Nachrichten von internationalen nächtlichen Todesfällen bei Dup15q- Syndrom nehmen zu und treffen uns jedes Mal zutiefst. In unserer Gemeinschaft hört man von jedem Fall. Deshalb sprechen wir mit allen unseren Mitgliedern über SUDEP und wie sie sich vorbereiten können. Wirwollen von keiner unserer Familien hören, „… hätte ich das doch nur vorher gewusst.“ Vor kurzem sagte eine europäische Mama nach dem Tod ihres Kindes: „Dank der Dup15q Alliance wusste ich, dass das SUDEP-Risiko besteht, ich bin unglaublich dankbar, dass ich darüber aufgeklärt wurde.“ Das hat unsere Haltung zum Thema SUDEP weiter bestätigt, Aufklärung ist so wichtig!

Wie informieren Sie im Verein dazu?

Auf unserer Webseite wird SUDEP bereits thematisiert. Darüber hinaus enthält unser Willkommensbuch für neue Familien eine Rubrik über SUDEP. Die gerade erschienene 2. Ausgabe unserer Mitgliederzeitschrift „quietschbunt“ enthält ebenfalls einen Artikel über SUDEP und mögliche Überwachungsmonitore.

Wir unterstützen die Forschung zu plötzlichen Todesfällen beim Dup15q- Syndrom. Wir ermutigen Familien, sich im nordamerikanischen SUDEP-Register anzumelden und im Falle eines SUDEP oder am Ende einer normalen Lebensspanne, Gewebeproben für neuropathologische Untersuchungen zur Verfügung zu stellen. Die Dup15q Alliance und das Autism Tissue Program arbeiten zusammen, um klinische Daten (wie Video-EEG, MRT, Befragung von Pflegepersonen der Patienten mit Dup15q-Syndrom) und plötzlichen Todesfällen zu sammeln. Da es bisher in Deutschland bzw. in Europa noch keine solchen Forschungsvorhaben anhand von Gewebeproben gibt, unterstützen wir Familien gerne bei der Koordination mit den amerikanischen Institutionen.

Ebenso beschäftigen wir uns mit Notfallmaßnahmen, ermutigen unsere Mitglieder dazu, regelmäßig ihre Erste- Hilfe-Kenntnisse aufzufrischen und verweisen auf andere Quellen. Auf unserem diesjährigen Familientreffen werden wir das Thema auch in einem Vortrag / Gesprächskreis aufgreifen und planen ein Erste-Hilfe-Kurs-Angebot.

Fast alle unserer Vorstandsfamilien haben bereits ein Überwachungssystem oder lassen die Kinder nicht allein schlafen.

Auch wenn die Technologie teilweise noch nicht vollständig ausgereift ist, sollte jede Familie für sich ausprobieren, wie sie besser und beruhigter schlafen können.

Die beste Vorsorge ist und bleibt eine optimale Anfallskontrolle, doch es ist ein beruhigendes Gefühl, zu wissen, dass man die Vorkehrungen getroffen hat, die möglich sind.

www.dup15q.de